Aus Trümmerhaufen Demokratie aufgebaut

Ausstellung "100 Jahre SPD Straubing" im Salzstadel eröffnet

"Weißt du noch?" Bundesminister a.D. Hans-Jürgen Wischnewski

Straubings Sozialdemokraten feiern das 100-jährige Bestehen ihres Ortsvereins, den 24 Arbeiter und Handwerker am 6. November 1904 im damaligen Gasthaus Schötz gründeten. Dazu gibt es vier Wochen eine Ausstellung mit Plakaten, vielen - teils nostalgischen - Fotos und Zeitungsausschnitten in der Bibliothek im Salzstadel. Eröffnet wurde sie Freitag 28. Mai von Bundesminister a.D. Hans-Jürgen Wischnewski, der hier 1946 SPD-Mitglied wurde. Dafür werde er Straubing ewig dankbar sein, sagte er und schlug - trotz angeschlagener Gesundheit mit großer rhetorischer Präsenz - einen Bogen von der Weimarer Republik zur Bundespolitik.

Ausstellung
Eröffneten die Foto-Ausstellung "100 Jahre SPD Straubing" in der Bibliothek im Salzstadl (v.l.): Der ehemalige MdB Otto Wittmann, Alt-OB Fritz Geisperger, Bundesinnenminister a.D. Hans-Jürgen Wischnewski, OB Reinhold Perlak, Helene Joringer, Ortsvereins-Vorsitzender Erhard Lenz und Bürgermeister Hans Vicari.

Eingestimmt durch Gitarrenklänge des Straubingers Philipp Grüll führte Ortsvereins-Vorsitzender Erhard Lenz in ein "Stück politischer Geschichte" ein und freute sich über die gut gefüllten Zuhörer-Reihen. Lenz warf Schlaglichter auf die SPD-Gründung 1904 in Straubing, die "sechs Genossen" im Stadtrat 1924 und die schwierige Zeit des Nationalsozialismus bis hin zu den bisherigen drei SPD-Oberbürgermeistern Hermann Stiefvater, Fritz Geisperger und Reinhold Perlak sowie MdB Otto Wittmann und Robert Leidinger.
Hans-Jürgen Wischnewski zeichnete in einer einstündigen Rede im Plauderton zunächst seinen persönlichen politischen Weg nach vom SPD-Mitglied in Straubing zum Juso-Bundesvorsitzenden, Bundestagsabgeordneten, SPD-Bundesgeschäftsführer bis zum Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Kanzleramtsminister und Krisenmanager in der Hochphase des Terrorismus. Aus seiner Erfahrung hält er für wichtig, dass ein demokratischer Staat zeigt, dass er sich wehren kann.

Zu wenig geschichtsbewusst
Dann schlug er einen großen Bogen von der Weimarer Republik bis heute und bedauerte: "Leider sind die Deutschen zu wenig geschichtsbewusst." Dabei könne man gerade aus Fehlern lernen. Demokratie könne man nur mit Demokraten machen und davon habe es in der Weimarer Republik zu wenig gegeben. Stolz ist er darauf, dass die Sozialdemokraten als einzige gegen das Ermächtigungsgesetz stimmten. Das Grundgesetz würdigte er als die "freieste Verfassung, die es je auf deutschem Boden gab". Wischnewski outete sich als Skeptiker der großen Koalition in den sechziger Jahren. "Ich war in Sorge, die Opposition sei zu klein".
Ohne die Ostpolitik von Willy Brandt wäre es nicht zur Deutschen Einheit gekommen, meint er, der Verständnis für die schwierige Lage seiner Partei heute hat. Schließlich habe es nie zuvor in der Geschichte den Fall gegeben, dass von einem Tag auf den anderen 17 Millionen Menschen zu einem Staat dazugekommen seien. Helmut Kohl stellte er für die Bewältigung der Einheit ein gutes Zeugnis aus, nur den Umtausch der D-Mark 1 zu 1 findet er fatal.

Reformen unabdingbar
Wenn der Sozialstaat Bestand haben solle, seien Reformen unabdingbar, verteidigte er die Praxisgebühr. Er ist auch der Meinung, "wenn die letzte Bundestagswahl nur ein bisschen anders ausgegangen wäre, wären Soldaten aus Deutschland heute im Irak." Zu guter letzt appellierte Wischnewski, "unsere Zukunft ist Europa". Nur müsse auch Europa reformiert und Bürokratie abgebaut werden. In Brüssel mit 24 Fremdsprachen zu operieren, sei zu teuer. In 100 Jahren Sozialdemokratie seien Fehler nicht ausgeblieben, so sein Fazit, aber die SPD habe dazu beigetragen, aus einem Trümmerhaufen einen demokratischen Staat aufzubauen.
Oberbürgermeister Reinhold Perlak hatte eingangs Wischnewski für sein politisches Lebenswerk Respekt gezollt. "Wer an die Wurzeln der Demokratie will, muss in der Geschichte der Sozialdemokratie nachsuchen", so sein Credo. Gleichzeitig rief er in Erinnerung, dass der Begriff "Freistaat Bayern" von dem Sozialdemokraten Kurt Eisner stamme. Als eine Wegmarke der SPD in Straubing wertete er OB Hermann Stiefvaters Glaube an die erfolgreiche Ansiedlung von Industrie und Gewerbe. Die Sozialdemokraten hätten dazu beigetragen, dass die Bürger Identität und Perspektive spürten.
Nach so viel Rhetorik schloss sich ein Besuch der von Wolfgang Pelka angeregten Ausstellung an, die Erinnerungen an den Protest gegen WAA in Wackersdorf bis Nato-Doppelbeschluss genauso in Erinnerung ruft wie die Brandt-Kundgebung in der Gäubodenhalle 1971 und markante Straubinger Genossen wie Jochen Grotrian, Edda Bauernfeind oder Reinhard Gschwendtner.
Für die SPD-ler war's wie Klassentreffen. "Weißt du noch?"