„Müs­sen zei­gen, dass wir noch da sind“

07. Februar 2018

STRAUBINGER RUNDSCHAU DIENSTAG, 6. FEBRUAR 2018

Wie Si­mon Baum­gart­ner als neu­er Orts­vor­sit­zen­der Wäh­ler für die SPD zu­rück­ho­len will

Der 30-jährige Simon Baumgartner ist seit November Vorsitzender des SPD-Ortsvereins.

Simon Baumgartner ist seit zwei Monaten Vorsitzender des SPD-Ortsvereins. Fragt man ihn nach seinen politischen Vorbildern, nennt er sofort SPD-Kanzler Willy Brandt – und erklärt, was das mit Japan zu tun hat.

Straubinger Tagblatt: Willy Brandt ist Ihr politisches Vorbild?

Ja. Da sagen jetzt sicher viele: war ja klar. Aber bei ihm denke ich sofort an den Kniefall im Warschauer Ghetto im Jahr 1970. Ich finde, diese Geste können wir heute nicht hoch genug schätzen, sie war das einzig Richtige. Denn der Kniefall zeigte: Wir rechnen nicht auf, wir relativieren unsere Schuld nicht. Ich finde diese Geste deshalb so wichtig, da ich lange Zeit in Japan gelebt habe. Dort sind damals auch Gewalttaten geschehen, die zwar schon aufgearbeitet werden, der eine Schritt aber, dieser eine mutige Schritt, der fehlt bis heute. Willy Brandt hat das damals für die Bundesrepublik überwunden.

Zurück zur heutigen SPD: Als am Abend der Bundestagswahl im September vergangenen Jahres SPD-Vorsitzender Martin Schulz verkündete, dass die SPD auf eine Regierungsbeteiligung verzichtet, was dachten Sie sich da?

Vom Wahlergebnis an diesem Abend war ich natürlich enttäuscht, aber nicht sonderlich überrascht – von Schulz’ Aussage allerdings schon. Ich fand sie taktisch unklug. Eine Reaktion, die der SPD ohne Not eine Option genommen hat. Je weniger Optionen man hat, desto enger wird der eigene Spielraum. Das merkt man ja gerade jetzt. Ich glaube, viele haben die ganze Tragweite dieser Aussage an diesem Abend nicht abgesehen.

Jetzt, nicht einmal vier Monate später, befindet sich die SPD mitten in den Koalitionsverhandlungen mit der Union. Das stufen viele Bürger als unglaubwürdig ein.

Das kann ich verstehen. Eben diese Reaktion am Wahlabend ist der Hauptgrund dafür. Ich möchte aber dagegenhalten: Man kann in kurzer Zeit viel klüger werden und die Situation stellte sich nach den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen grundsätzlich anders dar. Die SPD ist sich der Situation nach der Wahl immer noch bewusst, aber die Partei ist trotzdem noch einmal in sich gegangen und übernimmt jetzt Verantwortung in den Koalitionsverhandlungen. Dies war keine leichte Entscheidung.

Glauben Sie, es wird eine Große Koalition geben?

Zu den täglichen Meldungen über die Einzeletappen möchte ich gar nicht viel sagen. Ich möchte das finale Papier abwarten. In dem wird es einige Kompromisse geben, da darf sich kein Genosse Illusionen machen. Beim Mitgliedervotum muss sich jeder einzelne fragen: Ist es das, was ich vertrete und womit wir Deutschland in eine bessere und sozialere Zukunft führen? Aber egal, wie das Votum ausgeht, den Diskussionsprozess finde ich gut. Die Diskussionen mögen nach außen hin langatmig wirken, aber sie werden sehr emotional und argumentativ auf hohem Niveau geführt. Diesen Schwung kann und muss man mitnehmen – in eine neue Regierung oder in einen neuen Wahlkampf.

Die Diskussion tut der SPD also gut?

Ich sehe nichts Schlechtes daran, wenn eine Partei mit sich ringt. Auch hier im Ortsverein Straubing wird es vor dem Votum noch eine Mitgliederversammlung geben.

Was denken Sie persönlich über die Koalitionsverhandlungen?

Mir fehlen noch einige wichtige Punkte, zum Beispiel zum Thema Europa. Ich bin überzeugt, dass daran viel hängt. Im Westen haben wir den nordamerikanischen Markt, im Osten Asien. China und Japan sind extrem stark – wir brauchen auch ein starkes Europa, das weiß, wohin es will. Wir dürfen uns nicht weiter zerstreiten. Aber zu den Koalitionsverhandlungen: sicher ist noch nichts. Auch bei mir sind die Argumente für und wider noch ausgewogen.

Bei der Bundestagswahl erhielt die SPD in Straubing 19 Prozent der Erst- und 14 Prozent der Zweitstimmen. Wohin, denken Sie, sind Wähler abgewandert?

Wenn ich an das Jahr 2015 zurückdenke, sehe ich immer noch die vielen Flüchtlinge, die sich vom Warteraum Feldkirchen aus Richtung Straubing zu Fuß auf den Weg gemacht haben. Die Bürger vor allem hier in Ostbayern haben diese Bilder nicht nur im Fernsehen gesehen, sondern auch in ihrem Alltag. Einige sind dadurch in die Fänge der AfD geraten oder sind zu einer CSU abgewandert, die in Teilen die Rhetorik der AfD übernommen hat. Mir ist vor allem wichtig, dass wir nicht deren Vokabular übernehmen. Da seh’ ich die SPD – eigentlich alle demokratischen Parteien – in der Pflicht.

Sie müssen zugeben, dass die SPD in Straubing nicht mehr besonders präsent ist. Wie möchten Sie die Wähler hier zurückholen?

Als erstes müssen wir zeigen, dass wir noch da sind. Das wird nicht von heute auf morgen gehen. Wir müssen mehr Präsenz zeigen, auf Veranstaltungen, bei Wortmeldungen, mit Stellungnahmen zu aktuellen Debatten und mit dem Vorbringen eigener Themen. Mit Dr. Olaf Sommerfeld haben wir eine ausgesprochen gute Galionsfigur für die Landtagswahl. Wir müssen mehr zeigen, was wir im Stadtrat leisten. Wir arbeiten dafür, dass Straubing noch lebenswerter wird.

Und wie wird Straubing noch lebenswerter?

Der soziale Wohnungsbau muss weiter forciert werden. Ein anderer Punkt ist der neue TUM-Campus: Wir schmücken uns jetzt damit, tun aber viel zu wenig dafür. Die Studenten brauchen aber bezahlbaren Wohnraum. Jetzt haben wir noch Zeit, das zu schaffen. Beim ÖPNV sollte man nicht auf kurzfristige Einzelmaßnahmen setzen. Man muss das große Ganze sehen, ein Zukunftskonzept erschaffen: Wie soll der Verkehr im Jahr 2030 in der Stadt aussehen?

Warum sind Sie Sozialdemokrat geworden?

Weil mich der Grundgedanke einer sozial-verantwortlichen Politik überzeugt, der sich durch alle Politikfelder zieht. Mir ist hier unter anderem der Umweltschutz wichtig. Wir wissen alle, dass der Mensch über seine Verhältnisse lebt. Mich ärgert, wenn Sigmar Gabriel sagt, dass ihm Arbeitsplätze wichtiger sind als der Umweltschutz, denn damit spielt er diese beiden Themen gegeneinander aus und versucht sie nicht unter einem sozial-verantwortlichen Umweltschutz zusammenzudenken. Das sehe ich anders, man kann beide Wege gehen: den Umweltschutz mit Arbeitnehmerinteressen verbinden. Aber genau so etwas, das für mich noch nicht einhundertprozentig passt, ist der Grund für mich, aktiv zu werden.

Interview: Sophie Schattenkirchner

Teilen