Straubinger Tagblatt, SAMSTAG, 1. JULI 2017
SPD, Grüne, Linke und 75 Unionsabgeordnete stimmen für die Ehe für alle
Von Martin Ferber
Es ist genau 9.20 Uhr, als es im Bundestag laut knallt. Abgeordnete der Grünen, die sich um Volker Beck in der vierten Reihe des Plenarsaals geschart haben, halten kleine Konfettikanonen in die Höhe und zünden ein Partyfeuerwerk. Die Ermahnung von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), es bestehe ein „Verdacht der Albernheit“, kommt zu spät – laut und begeistert feiern die Grünen ihren Vorkämpfer für die Homo-Ehe.
Es ist der Tag des Volker Beck. Seit 23 Jahren gehört der bekennende Homosexuelle dem Bundestag an. Seit 1994 streitet der 56-Jährige, der sich nach dem Tod seines Lebenspartners Witwer nennt, für die völlige Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Im Herbst scheidet er aus dem Bundestag aus. Und, womit er nicht mehr gerechnet hat: In der letzten Sitzung vor der Sommerpause macht der Bundestag den Weg für die Ehe für alle frei.
In namentlicher Abstimmung stimmen 393 Abgeordnete dafür, 226 Parlamentarier votieren dagegen, vier enthalten sich. Auch 75 Abgeordnete von CDU und CSU sprechen sich dafür aus, unter ihnen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Kanzleramtsminister Peter Altmaier, Kulturstaatsministerin Monika Grütters und Generalsekretär Peter Tauber (alle CDU). Mit Gudrun Zollner aus Wallersdorf (Landkreis Dingolfing-Landau) und Astrid Freudenstein aus Regensburg stimmen auch zwei ostbayerische CSU-Abgeordnete für die Ehe für alle. Und: Alle Abgeordnete muslimischen Glaubens stimmen mit Ja.
Beck kann es kaum fassen und ist überwältigt. „Das ist wirklich ein toller Sieg, weil es ein Stück weit gesellschaftlichen Frieden bedeutet“, sagt er unter Tränen nach der Abstimmung. 80 Prozent der Deutschen seien dafür. Seit Langem habe es bereits eine Mehrheit im Bundestag gegeben, dennoch sei die Ehe für alle wegen des Widerstands von CDU und CSU nicht gekommen. Nach der „Kehrtwende“ von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag, die das Thema zu einer Gewissensentscheidung erklärte, habe es bei den Grünen die klare Devise gegeben: „Wir schießen noch mal aus allen Rohren, vielleicht fällt die Mauer. Und sie ist gefallen.“
Jubel und Freude aber auch bei der SPD. „Was für ein wunderbarer Tag“, sagt der schwäbische Abgeordnete Karl-Heinz Brunner, der mit einer Krawatte in den Farben des Regenbogens ans Rednerpult des Bundestags tritt. „Niemand wird seiner Rechte beraubt, niemand wird ärmer, aber alle werden reicher.“ Das sei ein Erfolg „für ein tolerantes Deutschland“.Schon beim Zählappell der SPD-Fraktion um 7.30 Uhr im Fraktionssaal zeichnet sich ab, dass die Ehe für alle kommt. Von 193 Abgeordneten sind 192 anwesend. Nur ein Parlamentarier, der schwer krank und auf Beatmung angewiesen ist, fehlt. Als Bundestagspräsident Lammert pünktlich um 8 Uhr im komplett gefüllten Plenarsaal die Sitzung eröffnet, setzen SPD, Grüne und Linke gemeinsam das Thema nachträglich auf die Tagesordnung und machen mit ihrer Mehrheit den Weg für die Abstimmung frei.
Wie schwer sich CDU und CSU mit dem Thema tun, macht die Debatte deutlich. Fraktionschef Volker Kauder (CDU) und CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt lehnen die Ehe für alle ab. Die Ehe zwischen zwei Männern oder zwei Frauen sei „nicht dasselbe“ wie die Ehe von Mann und Frau, sagt Kauder. Auch Hasselfeldt sagt: „Unvergleichliches ist nun einmal nicht gleich.“ Der Berliner CDU-Abgeordnete Jan-Marco Luczak wirbt hingegen für die Annahme des Gesetzentwurfs.
Für Misstöne in der Debatte sorgen die aus der Unionsfraktion ausgetretene Erika Steinbach und der Sozialdemokrat Johannes Kahrs. „Wir haben keine Kanzlerdemokratie, sondern eine parlamentarische Demokratie“, bemängelt Steinbach bei ihrem letzten Auftritt im Bundestag.
Kahrs nennt die Wende von Merkel in einer überaus emotionalen Rede „erbärmlich“ und „peinlich“, hätten sie und die Union doch seit 2005 die völlige Gleichstellung verhindert. „Es steht mir bis hier. Vielen Dank für nichts.“
Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) macht ihrer Partnerin, mit der sie seit dem 22. Oktober 2010 verpartnert ist, bei einem Auftritt vor dem Brandenburger Tor einen offiziellen Heiratsantrag und kündigt an, sie am siebten Jahrestag heiraten zu wollen. Im Fraktionssaal der SPD schneiden Parteichef Martin Schulz und Fraktionschef Thomas Oppermann eine mehrstöckige Torte in den Regenbogenfarben an. Und am Abend laden die Grünen zur Party unter der Reichstagskuppel. Es darf gefeiert werden, laut und unbeschwert.