Goldene Nasen

26. Januar 2016

Podium kritisiert Mangel an Sozialwohnungen und Unternehmer, die daraus Profit schlagen

Der Rückstand im Sozialen Wohnungsbau hat die Podiumsdiskussion von Arbeiterwohlfahrt (AWO) und SPD-60plus zum Thema „Asylbewerber in Straubing“ deutlich geprägt. Im Markmiller-Saal diskutierten Besucher und Podiumsgäste gestern über fehlende Wohnungen sowie Unternehmer, die aus diesem Missstand Profit schlagen.

„Das Problem, das uns am meisten drückt, sind Personen, die eine Aufenthaltserlaubnis bekommen und nun eine Wohnung suchen“, sagte Annette Ebner, Leiterin des städtischen Amts für Soziale Sicherung. Sie sprach dabei von circa 100 sogenannten Fehlbelegungen. Damit meint sie Flüchtlinge, die als solche anerkannt sind und aus ihrer Gemeinschaftsunterkunft ausziehen müssten, aber schlicht keine Wohnung finden. „Das ist nicht Sinn der Sache und nicht Sinn der Integration!“ Zudem rechnet Ebner damit, „dass der Zustrom in absehbarer Zeit nicht wesentlich weniger wird“. Das Ende der Fahnenstange sei für Straubing noch lange nicht erreicht. Stadtrat Werner Schäfer sprach von 550 Anfragen an die Städtische Wohnungsbau GmbH, Flüchtlinge nicht mit eingerechnet. Er versuchte deshalb, der Situation etwas Positives abzugewinnen, nämlich, „dass durch diese Notwendigkeit endlich der Soziale Wohnungsbau in der Stadt vorangetrieben wird“.

Pfarrer Hasso von Winning erklärte, er wolle das Pfarramt an der Pestalozzistraße zugunsten Sozialen Wohnraums abreißen lassen, und appellierte sogleich an alle Bürger, die Wohnungen ihr Eigen nennen, diese auch zu vermieten. „Was wir bräuchten, sind Menschen, die privaten Wohnraum vermieten und nach einer bestimmten Zeit ihre Erfahrungen weitergeben. Dann wären vielleicht mehr dazu bereit.“ Ilse Schneider, Vorsitzende des Internationalen Kulturtreffs, sprach in diesem Zusammenhang von sicheren Mietern, denn die Miete zahle entweder das Jobcenter oder der Flüchtling selbst, sofern er bereits eine Arbeit gefunden hat. Doch noch schrecken viele Vermieter vor Flüchtlingen zurück. „Wir haben kein Problem, wenn der Freistaat oder die Stadt die Miete zahlt, aber fast keine Chance, wenn sie direkt vom Mieter kommt“, berichtete Annette Ebner, woraufhin sich Ilse Schneider noch mehr ehrenamtliche Helfer wünschte, die einzelne Flüchtlinge bei der Wohnungssuche begleiten könnten.

„Das kann sich kein Lehrling leisten!“

Hilfe und Unterstützung allein genügen jedoch nicht – vor allem nicht bei unbegleiteten Minderjährigen, die in die Selbstständigkeit geführt werden sollen. Michaela Gürster, Abteilungsleiterin Jugendwohnen bei der AWO, berichtete von mehreren Jugendlichen, die gerade volljährig werden, eine Ausbildung haben und seit neun Monaten eine Wohnung suchen. „Die letzte Wohnung hätte bei 37 Quadratmetern 300 Euro kalt gekostet. Das kann sich kein Lehrling leisten, auch kein einheimischer!“

„Goldene Nasen“ mit Immobiliengeschäften

Dass jede Krise auch Profiteure hervorbringt, darauf machte nun Schäfer aufmerksam: „Mann kann sich mit Immobiliengeschäften eine goldene Nase verdienen, auch hier in Straubing“, sagte er, worauf sich Harry Carsten aus dem Publikum meldete: „Ich bedauere, dass Objekte wie Heimer und Precklein nicht von der Stadt erworben wurden. Und ich ärgere mich, dass 250 Geflüchtete in der Notunterkunft am Hagen sitzen, während gleichzeitig Geld verpulvert wird, um eine Immobilie wie das Hotel Heimer massiv im Wert zu mindern.“ Eine Frau sprang ihm gleich zur Seite und forderte eine Verpflichtung für die Vermieter dieser Immobilien, an anderer Stelle Sozialen Wohnraum schaffen zu müssen. „Denn so verdienen sie sich zehn Jahre einfach eine goldene Nase!“ Schäfer reagierte darauf zwar mit Verständnis, erklärte aber, dass die Stadt ihre Rücklagen aufgezehrt hat und zusehen müsse, wie sie über die Runden kommt. Jugendamtsleiter Markus Wimmer ergänzte, dass man nicht alles in einen Topf werfen dürfe, denn „die Unterkunft in der Messehalle ist allein dem Notfallplan der bayerischen Staatsregierung geschuldet“.

Das Publikum schaltete sich nun mehr und mehr in die Diskussion ein und lenkte den Fokus auf verschiedene Themen. Unter anderem warf Karl-Max Neumeier die These in den Raum, dass 98 Prozent der Flüchtlinge gar kein politisches Asyl nach dem Grundgesetz, sondern einen sogenannten subsidiären Schutz für drei Jahre erhielten. Dies ordnete Julia Liebl, Asyl- und Flüchtlingsberaterin der Caritas, sogleich ein und erklärte: „Es bekommt deshalb nur ein Prozent politisches Asyl, weil fast alle über den Landweg durch einen sicheren Drittstaat einreisen. Politisches Asyl kann man in Deutschland nur bekommen, wenn man per Flugzeug ankommt. Und in dreieinhalb Jahren habe ich erst einen solchen Fall erlebt.“ Subsidiärer Schutz sei zudem ein Extra-Paragraf der Genfer Flüchtlingskonvention und bedeute ein Jahr Schutz und nicht drei. Neumeier gab sich damit noch nicht zufrieden und stellte indirekt die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Integrationsmaßnahmen: „Wir müssen beim Vermitteln der deutschen Leitkultur im Hinterkopf behalten, dass die Masse nach drei Jahren wieder geht.“ Liebl entgegnete ihm darauf: „Ich gehe davon aus, dass die Situation in Syrien in drei Jahren nicht so sein wird.“ Sie verwies zudem auf zahlreiche Iraker, die bereits „seit zehn, 15 Jahren in einer Warteschleife leben“, also abgeschoben werden sollen, aber nicht können. Das fördere nicht gerade die Integration.

Schäfer und von Winning bekräftigten an dieser Stelle die Vorteile von Integration, selbst wenn nach drei Jahren sämtliche Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren würden. Schäfer bezog sich dabei auf die Wichtigkeit von Kulturpolitik für Wirtschaft und Friedenswahrung, während von Winning das Thema zunächst individuell betrachtete, um dann die Politik der Bundesrepublik zu kritisieren. Integration könne unheimlich bereichern und dazu beitragen, die Kultur, das Leben und gerade auch die Fluchtursachen der Menschen zu verstehen. „Und dann stehen hoffentlich mehr Menschen auf und stellen die Frage: Was bitte macht ihr gegen die Fluchtursachen, wenn ihr Waffen verkauft?“ -chg-

Bild 1: Diskutierten über die Flüchtlings-Situation in Straubing (von links): Werner Schäfer, Markus Wimmer, Michaela Gürster, Hasso von Winning, Annette Ebner, Julia Liebl, Ilse Schneider und Moderatorin Irene Ilgmeier.

Bild 2: Dolmetscher Ahmed Idris (rechts) übersetzte für drei syrische Flüchtlinge aus der Notunterkunft am Hagen. Sie berichteten den Gästen der Podiumsdiskussion von ihren ersten Erfahrungen in Deutschland.

Straubinger Tagblatt | Straubinger Rundschau | 26.01.2016

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